Corona ...

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Moderator: Comedix

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Erik
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63481Beitrag Erik »

Hallo,

da nicht nur hier, sondern auch in der öffentlichen Diskussion immer viel auf die Grundrechte Bezug genommen wird, sind an dieser Stelle vielleicht ein paar Erläuterungen zum Verfassungsrecht angebracht.
Iwan hat geschrieben: 10. Mai 2020 13:00Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes: (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

[...]
Aber wenn er den Erreger bereits in sich trägt und dann ihm bekannte Senioren trifft, die er ansteckt, nimmt er ihnen dann nicht diese Freiheit?
Ein Mann wird ja offenbar in Deutschland vor Gericht gestellt, weil er vor einer Operation dem Krankenhauspersonal verschwiegen hat, infiziert zu sein.
Grundrechtsverpflichtet ist unmittelbar nur der deutsche Staat, nicht der einzelne Bürger, nicht Firmen und auch nicht ausländische Hoheitsträger. Der Ansatz, dass jemand, der dieses oder jenes tut, damit gegen das Grundrecht eines anderen oder vieler anderer verstößt, ist so nicht zutreffend. Denn die Grundrechte binden und verpflichten aus sich selbst heraus nur den Staat.

Wenn jemand wegen eines Verhaltens vor das (Straf-)Gericht gestellt wird, dann geschieht das nicht, weil er ein Grundrecht gebrochen hat, sondern weil er gegen ein Strafgesetz verstoßen haben soll. Wird jemandem eine Geldbuße auferlegt, geschieht das, weil er gegen eine Ordnungswidrigkeitenbestimmung verstoßen haben soll.

Und in der Tat kann es als Körperverletzung oder auch (versuchter) Totschlag zu bewerten und damit strafbar sein, jemand anderen vorsätzlich mit einer schweren Krankheit zu infizieren. Die Fälle, an denen diese Rechtsprechung entwickelt worden ist, betreffen die Weitergabe von HIV über ungeschützten Geschlechtsverkehr in Kenntnis der eigenen Infektion. Damit nimmt man in der Regel billigend in Kauf, dass der andere Sexualpartner (wenn er nicht auch erkrankt ist) sich ansteckt. Und dieses billigend in Kauf Nehmen genügt für einen bedingten Vorsatz.

Sicherlich kann man diese Rechtsprechung nicht auf jede Erkältung übertragen. Auf die Riskierung, jemand anderen mit einer schweren Lungenentzündung wie SARS-Cov2 anzustecken aber vielleicht schon. Das werden letztlich die Gerichte entscheiden müssen.

Aus den Grundrechten ist der Staat allerdings verpflichtet, nicht nur nicht gerechtfertigte Eingriffe in diese zu unterlassen, sondern auch, die Grundrechte aktiv zu schützen, d.h. dafür Sorge zu tragen, dass sie effektiv ausgeübt und durch außerstaatliche Umstände nicht zu stark eingeschränkt werden. Das sind die sogenannten Schutzpflichten. So muss der Staat z.B. die Tötung eines Menschen durch Gesetz unter Strafe stellen, um die Menschen möglichst davon abzuhalten, einander zu töten. Insofern ist die Existenz der §§ 211, 212 StGB (Strafbarkeit von Mord und Totschlag) auch Ausfluss der staatlichen Schutzpflicht für das Recht auf Leben.

Nun ist es natürlich so, dass nahezu jede Bestimmung des Staates, die das eine Grundrecht schützen soll, in ein anderes Grundrecht eingreift. Das Verbot, andere Menschen zu töten stellt einen Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit - die auch als allgemeine Handlungsfreiheit bezeichnet wird - dar. Dieser Eingriff ist aber natürlich gerechtfertigt.

So eindeutig, wie das hier ist, so kompliziert und grenzwertig kann das in anderen Fällen sein. Im Einzelfall bedarf es zur Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffes zunächst einer (geschriebenen oder ungeschriebenen) Grundrechtsschranke, die die Einschränkung erlaubt. Die gibt es in fast allen Grundrechten. Sodann muss eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden, bei der die Grundrechte so gegeneinander austariert werden, dass insgesamt der größtmögliche Schutz aller betroffenen Grundrechte (das, in das eingegriffen wird und das, das durch den Eingriff geschützt werden soll) übrig bleibt und möglichst der Kernbereich keines Grundrechtes verletzt wird.

Was bedeutet das nun hier?

Die Einschränkungen, die durch die Corona-Verordnungen vorgenommen werden und letztlich auf dem Infektionsschutzgesetz beruhen, greifen in vielfältige Grundrechte ein, teilweise in spezielle Grundrechte, wie z.B. das Recht auf Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG), im übrigen jedenfalls in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (= allgemeine Handlungsfreiheit) (Art. 2 Abs. 1 GG). Letzteres ist z.B. sehr intensiv betroffen, wenn es ein Verbot gibt, die eigene Wohnung ohne triftigen Grund zu verlassen.

Nehmen wir die zumeist betroffene allgemeine Handlungsfreiheit, dann ist sie sehr weit gefasst. Die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts trägt den Titel "Reiten im Walde" und besagt, dass auch das Reiten im Walde teil der freien Entfaltung der Persönlichkeit und damit grundrechtlich geschützt ist. Weil das Grundrecht so weit gefasst ist, ist es auch weitgehend einschränkbar. Es unterliegt der sogenannten Schranken-Trias (Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz). Relevant ist hier eigentlich im Kern nur die verfassungsmäßige Ordnung (die auch die Rechte anderer wieder normiert und durch die herrschenden Sittlichkeitsvorstellungen geprägt ist). Das ist im Grunde die Gesamtheit der Gesetze. Mit anderen Worten: Im Grundsatz kann das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit durch jedes einfache Gesetz eingeschränkt werden. Die Einschränkung muss nur im Einzelfall verhältnismäßig sein.

Mit den Corona-Schutzverordnungen will der Staat die Volksgesundheit bewahren, das heißt das Recht auf körperliche Unversehrtheit und letztlich auch das Recht auf Leben schützen. Diese beiden Grundrechte finden sich in Art. 2 Abs. 2 GG, der lautet: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden."

Dazu muss man sagen, dass das Recht auf Leben in unserer Verfasungsrechtsordnung einen Höchstwert genießt. Das ergibt sich, wie man unschwer erkennt, nicht unmittelbar aus dem Text des Art. 2 Abs. 2 GG, denn der gestattet ja in Satz 3 die Einschränkung auch des Rechts auf Leben "auf Grund eines Gesetzes". Das Bundesverfassungsgericht hat aber einen weitgehend absoluten Lebensschutz aus dem Grundgesetz herausgearbeitet, der eine Abwägung mit dem Recht auf Leben Einzelner weitgehend unmöglich macht. Eingriffe in das Recht auf Leben sind kaum je zulässig (der sogenannte "finale Rettungsschuss" bei einer Geiselbefreiung ist eine vieldiskutierte Ausnahme).

Bei der Ausübung der staatlichen Schutzpflicht für das Recht auf Leben ist aber eine Abwägung möglich und nötig, bei der das konkrete Maß der Gefahr sicher eine Rolle spielen muss. Dabei hat das Recht auf Leben natürlich einen sehr hohen Stellenwert. Man kann es - nach der Menschenwürde, die (nahezu) absoluten Schutz genießt - wohl als das zweithöchste Verfassungsgut ansehen. Das rechtfertigt sicher nicht jede Maßnahme, macht aber die Rechtfertigung auch solcher Maßnahmen erst möglich, die zum Schutze anderer Rechtsgüter undenkbar wären.

Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen dem Schutz des Rechts auf Leben und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit durch Maßnahmen zum Schutz der Volksgesundheit einerseits und den Eingriffen in diverse Grundrechte aller (allgemein Handlungsfreiheit, Berufsausübungsfreiheit, Versammlungsfreiheit u.a.m.) andererseits sind der Rahmen, in dem sich die ganze Diskussion um Beschränkungen und Lockerungen von Corona-Eindämmungsmaßnahmen abspielt.
Iwan hat geschrieben: 10. Mai 2020 13:00Auch Schäuble, den ich persönlich sehr bewundere, ist sich vermutlich der Tatsache bewusst, dass er selbst dem Tod vielleicht näher steht als andere. Aber das gibt ihm nicht das Recht, auch andere dem Tod näher zu bringen.
Wenn ich Herrn Schäuble richtig verstanden habe, dann hat er lediglich auf die Tatsache hingewiesen, dass es die oben beschriebene Abwägung gibt und geben muss, das heißt auch der Schutz der Volksgesunheit, zu dem der Infektionsschutz gehört, nicht absolut sein kann.

Wäre der Lebensschutz als staatliche Schutzpflicht absolut, dann müsste der Staat gehalten sein, den motorisierten Straßenverkehr zu verbieten. Es gibt in Deutschland noch immer über 3.000 Verkehrstote im Jahr. Diesen Umstand nimmt der Staat hin. Würde der motorisierte Verkehr verboten werden, würden diese Leben jedenfalls in der großen Mehrzahl gerettet - und wir bald wieder wie im 19. Jahrhundert leben.

An der echten Influenza sterben jährlich ebenfalls mehrere tausend Menschen in Deutschland (teilweise sogar mehrere zehntausend, aber das ist die große Ausnahme). Würden wir dauerhaft im "Lockdown" leben, würde die Ausbreitung der Grippe stark verringert und die meisten dieser Menschen gerettet werden. Ich meine, es war Herr Drosten, von dem ich kürzlich im Fernsehen gehört habe, dass die jüngste Grippewelle durch die Corona-Eindämmungsmaßnahmen abrupt nahezu vollständig zum Erliegen gekommen ist.

Hieran sehen wir, dass es natürlich nicht so sein kann, dass der Staat keinerlei Risiken für das Leben seiner Einwohner zulassen darf und den bestmöglichen Schutz um jeden Preis gewährleisten muss. Es ist alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit.

Und da spielt es natürlich eine Rolle, dass das Coronavirus sehr viel infektiöser ist als die gewöhnliche Grippe - anders wäre der exponentielle Anstieg der Fallzahlen nicht zu erklären. Ebenso spielt es eine Rolle, dass die Erkrankung, also SARS-Cov2, viel schwerer ist als eine Influenza (auch wenn man an der natürlich auch sterben kann). Es gibt mehr schwere Verläufe mit längerer Behandlungsdauer und höherer Sterblichkeit. Und schließlich spielt es eine Rolle, dass es keinen Impfstoff gegen das Coronavirus gibt, mit dem man - wie bei der Grippe - das jeweils individuelle Erkrankungsrisiko deutlich reduzieren kann.

Insofern sind die Äußerungen von Herrn Schäuble, so wie ich sie verstanden habe, durchaus zutreffend und alles andere als skandalös.

Was Herr Palmer gesagt - und unterdessen zurückgenommen - hat, ist hingegen verfassungsrechtlich deswegen ein Problem, weil es als eine Unterscheidung der Wertigkeit - nämlich der Schutzwürdigkeit - von Menschenleben verstanden werden kann (derjenige, der noch länger zu leben hat, sei "wertvoller", nämlich schutzwürdiger als derjenige, der nur noch ein halbes Jahr zu leben hat). Eine solche Sichtweise ist für den Staat als Adressaten der Grundrechte unzulässig, weil ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Das hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz (Verbot des Abschusses von entführten Passagiermaschinen) nochmals sehr deutlich gemacht.

Gruß
Erik
Zuletzt geändert von Erik am 10. Mai 2020 18:19, insgesamt 1-mal geändert.
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Nullnullsix
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63483Beitrag Nullnullsix »

Hedonix hat geschrieben: 10. Mai 2020 09:42 (...) Natürlich heißt das im Umkehrschluss auch nicht, dass man die Leute, denen Überleben das wichtigste ist, ignorieren dürfte, zumal sie vermutlich die große Mehrheit der Bevölkerung stellen. (...)
Worauf gründest Du diese Vermutung?

"Wer nicht raucht, nicht säuft und nichts mit Frauen hat, wird 100 Jahre. - Aber sie kommen ihm vor wie 200!" - Getreu diesem Prinzip hat mein Stiefvater gelebt: Geraucht, Rotwein und Whiskey getrunken, Gut und fett gegessen. Trotz Herzinfarkten, Schlaganfall, Diabetis wenig bis nichts an seinem Lebenswandel geändert. Mit dem Argument: Wenn ich auf alles verzichte, was mir das Leben lebenswert macht, welchen Sinn macht es dann länger zu leben? - Damit ist er immerhin fast 74 geworden.

Unterm Strich kenn ich, glaub ich, mehr Leute, die das so oder so ähnlich sehen, als welche, die der Gesundheit und einem langen Leben alles andere unterordnen. Für mich persönlich auch eher ein abschreckendes Beispiel: Meine Oma, die tatsächlich eher gesundheitsbewusst gelebt hat. Damit immerhin auch über 90 geworden ist. Aber die letzten Jahre dement und sich auch körperlich wieder in 'Säuglings-Phase' (Windeln benötigt, nicht mehr laufen können, fast den ganzen Tag verschlafen...) zurückentwickelt hat. Keine schöne Aussicht SO alt zu werden.
Eigentlich hätte was passieren müssen, als ich auf den Knopf drückte!
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Nullnullsix
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63485Beitrag Nullnullsix »

Zu dem von Euch verlinkten Artikel: https://www.spiegel.de/psychologie/schu ... a237593b36
Dort steht:
Beide [Palmer und Schäuble] lassen offen, welche konkreten Folgerungen aus ihren Bemerkungen zu ziehen wären. Sie scheuen sich explizit auszusprechen, was ihre Aussagen wirklich meinen: Man solle den Wert des einen Menschenlebens gegen den Wert des anderen Menschenlebens verrechnen.
- Ich bin da immer schon mal skeptisch bis verärgert, wenn jemand meint, zu wissen, was ANDERE "mit ihren Aussagen wirklich meinen". Grade solche Interpretationen, die oft genug auf Unterstellungen hinaus laufen, sorgen dafür, dass Leute wie Palmer missverstanden werden, sich -mit Recht- unverstanden fühlen.

Zum Zweiten: Ich höre zur Zeit allenthalben - auch von Mitgliedern des Ethik-Rates - man kann und darf Leben nicht miteinander verrechnen. Gut und schön, seh ich PRINZIPIELL genauso. Aber, und da würde ich mir grade von 'Ethik-Experten' mehr wünschen, sind zwei Aspekte, die zu bedenken sind:

1.) Wir tun es immer und allenthalben. Oft unmerklich, weil das Leben des einen mittelbar betroffen ist, und das dagegen abzuwägende unmittelbarer. Aber nichtsdestotrotz.

2.) Man kann und darf nicht. Gut. Aber was, wenn man MUSS? Welche Kriterien gelten dann dabei?
Eigentlich hätte was passieren müssen, als ich auf den Knopf drückte!
Hedonix
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63487Beitrag Hedonix »

Iwan hat geschrieben: 10. Mai 2020 13:00 [...] Es geht eben nicht nur darum, für sich selbst zu entscheiden, ob man seine Gesundheit oder seine Lebensqualität höher wertet. Sondern auch darum, dass man durch sorgloses Verhalten selbst zum Krankheits-Überträger wird. Und damit eben anderen diese Freiheit und vielleicht auch ihr Leben nimmt. [...] Alle, die finden, ihnen könnte ja eh nichts passieren, sollten sich bewusst machen, dass sie eben auch anderen die Krankheit weiter geben können. Auch Schäuble, den ich persönlich sehr bewundere, ist sich vermutlich der Tatsache bewusst, dass er selbst dem Tod vielleicht näher steht als andere. Aber das gibt ihm nicht das Recht, auch andere dem Tod näher zu bringen. Eben diese Einschränkung der persönlichen Freiheit des GG gilt in alle Richtungen.
Das ist genau, was ich meinte - alles lässt sich nämlich in 2 Richtungen anschauen. Jeder, der etwas tut, bringt damit andere dem Tod näher, und sei es nur, dass er mit dem Auto zur Arbeit fährt. Nicht nur, dass er das Risiko eines Verkehrsunfalls in Kauf nimmt, er trägt damit auch zum Klimawandel und zur Luftverschmutzung usw. bei (allein in Deutschland sollen mehrere 10.000 Menschen pro Jahr an den Folgen des Feinstaubs sterben, ganz zu schweigen von all dem anderen Schmutz). Und auch jeder, der etwas nicht tut, trägt zur Gefährdung anderer bei - beispielsweise, indem ein Rettungssanitäter nicht Rettungswagen fährt.

Aber wie @Erik ausgeführt hat, heißt das eben nicht, dass man deshalb das Autofahren komplett verbietet usw. - das geht einfach zu weit. Die bloße Forderung "du darfst mich nicht gefährden" kann nämlich auch übertrieben werden, wenn sie dazu führt, das praktisch das gesamte soziale und wirtschaftliche Leben eingestellt werden soll. Ich erlaube mir mal, den Gedanken noch weiter zu spinnen und (christlich-religiös) auch auf den Schutz des ungeborenen Lebens auszuweiten. Nicht nur ein völliges Verbot von Abtreibung oder Verhütung (auch z.B. nach einer Vergewaltigung) wäre die Folge, sondern letztlich sogar ein erzwungenes Gesellschaftsmodell, das die Frauen wieder auf die Rolle der Mutter reduziert. Denn eine Frau, die "nur" Mutter ist und keinen Beruf ausübt, kann schließlich mehr Kinder im Lauf ihres Lebens bekommen und somit "Leben retten". Aus der rechten Ecke tönte ja gelegentlich schon, dass es die "nationale Pflicht" der Frau sei, dem "Arterhalt" zu dienen - Bullshit!

Das war jetzt natürlich auf die Spitze getrieben, aber ich hoffe, der Gedanke wurde klar: Auch das "du darfst mich nicht gefährden" hat eine Grenze durch die Verhältnismäßigkeit und ist nicht absolut.
Erik hat geschrieben: 10. Mai 2020 15:00 [...] Sicherlich kann man diese Rechtsprechung nicht auf jede Erkältung übertragen. Auf die Riskierung, jemand anderen mit einer schweren Lungenentzündung wie SARS-Cov2 anzustecken aber vielleicht schon. Das werden letztlich die Gerichte entscheiden müssen. [...]
Diese Frage hängt sehr stark an der "Riskierung" - ab wann "riskiert" man diese Ansteckung? Wenn man - auf Einladung und mit Einverständnis - den Nachbarn besucht? Wenn man unter Einhaltung der Abstandsregeln in einem Kaufhaus (auch über 800m²) einkauft? Oder doch eher, wenn man jemanden anhustet? Das ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit, die geklärt gehört.
Erik hat geschrieben: 10. Mai 2020 15:00 Nun ist es natürlich so, dass nahezu jede Bestimmung des Staates, die das eine Grundrecht schützen soll, in ein anderes Grundrecht eingreift. Das Verbot, andere Menschen zu töten stellt einen Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit - die auch als allgemeine Handlungsfreiheit bezeichnet wird - dar. Dieser Eingriff ist aber natürlich gerechtfertigt.
Und das sind sicherlich auch Abstandsregeln, Maskenpflicht usw. Das pauschale Verbot von allem möglichen, teils ohne überhaupt zu prüfen, ob dort die Hygiene eingehalten werden könnte, ist hingegen nicht so einfach pauschal zu rechtfertigen. Dass man z.B. den Tanzkurs lieber bleiben lassen sollte, ist klar, aber anstatt alle Tanzveranstaltungen zu verbieten, wäre es doch sinnvoller, auf die Abstandsregel zu bestehen. Die Tänze, die ich kenne, würden damit alle nicht mehr gehen, aber das Tanzen an sich, notfalls allein im Park, wäre damit nicht verboten. Der Weg, der meiner Meinung nach zu gehen wäre, ist nicht der, alles mögliche zu verbieten, sondern im Gegenteil bestimmte Verhaltensregeln zu gebieten.
Erik hat geschrieben: 10. Mai 2020 15:00 [...]
Im Grundsatz kann das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit durch jedes einfache Gesetz eingeschränkt werden. Die Einschränkung muss nur im Einzelfall verhältnismäßig sein. [...]

Hieran sehen wir, dass es natürlich nicht so sein kann, dass der Staat keinerlei Risiken für das Leben seiner Einwohner zulassen darf und den bestmöglichen Schutz um jeden Preis gewährleisten muss. Es ist alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit.

Und da spielt es natürlich eine Rolle, dass das Coronavirus sehr viel infektiöser ist als die gewöhnliche Grippe - anders wäre der exponentielle Anstieg der Fallzahlen nicht zu erklären. Ebenso spielt es eine Rolle, dass die Erkrankung, also SARS-Cov2, viel schwerer ist als eine Influenza (auch wenn man an der natürlich auch sterben kann). Es gibt mehr schwere Verläufe mit längerer Behandlungsdauer und höherer Sterblichkeit. Und schließlich spielt es eine Rolle, dass es keinen Impfstoff gegen das Coronavirus gibt, mit dem man - wie bei der Grippe - das jeweils individuelle Erkrankungsrisiko deutlich reduzieren kann.

Insofern sind die Äußerungen von Herrn Schäuble, so wie ich sie verstanden habe, durchaus zutreffend und alles andere als skandalös.

Was Herr Palmer gesagt - und unterdessen zurückgenommen - hat, ist hingegen verfassungsrechtlich deswegen ein Problem, weil es als eine Unterscheidung der Wertigkeit - nämlich der Schutzwürdigkeit - von Menschenleben verstanden werden kann (derjenige, der noch länger zu leben hat, sei "wertvoller", nämlich schutzwürdiger als derjenige, der nur noch ein halbes Jahr zu leben hat). Eine solche Sichtweise ist für den Staat als Adressaten der Grundrechte unzulässig, weil ein Verstoß gegen die Menschenwürde. [...]
Das würde ich so auch unterschreiben - vielen Dank für diese Ausführungen, Erik!
Nullnullsix hat geschrieben: 10. Mai 2020 17:24
Hedonix hat geschrieben: 10. Mai 2020 09:42 (...) Natürlich heißt das im Umkehrschluss auch nicht, dass man die Leute, denen Überleben das wichtigste ist, ignorieren dürfte, zumal sie vermutlich die große Mehrheit der Bevölkerung stellen. (...)
Worauf gründest Du diese Vermutung?
Auf aktuellen Umfragen, in denen über 75% der Bevölkerung den Lockdown im Großen und Ganzen befürworten. Dazu kommen die deutlich gestiegenen Zustimmungswerte für die Parteien und Politiker, die den Lockdown zu verantworten haben. Und schließlich die Erfahrung in meinem persönlichen Umfeld, wo es zwar auch Leute beider "Seiten" gibt, wo aber die Gesundheitsschützer schon deutlich in der Mehrzahl sind.

Ich persönlich sehe es übrigens auch eher so wie du (nicht umsonst nenne ich mich hier Hedonix) - wozu soll ich ewig alt werden, wenn das ganze Leben keinen Spaß macht und ich die letzten 20 Jahre sowieso bloß noch ein Pflegefall bin. Ich kenne bzw. kannte auch 2 Leute, die in ihren 60ern "freiwillig" gestorben sind, weil sie eine schwerere Krankheit (Krebs bzw. Diabetes) hatten und nicht "dahinsiechen" wollten - sie verweigerten die Behandlung, lebten wie gewohnt weiter und starben dann eben relativ bald. Diese Sichtweise ist legitim, die gegenteilige aber natürlich auch, und ich habe sehr starken Grund zu der Annahme, dass diese gegenteilige Haltung bei Weitem die Mehrheitshaltung in unserer Gesellschaft ist. Daran ist ja auch nichts Schlimmes.

Nochmal: Ich bestreite weder die Notwendigkeit für zahlreiche und weitreichende Schutzmaßnahmen, noch lehne ich jegliche Einschränkung der persönlichen Freiheit ab - ich bezweifle lediglich in einigen Fällen die Verhältnismäßigkeit, v.a. wenn es sich um pauschale Verbote im Sinn von "ab sofort darf keiner mehr vor die Tür" handelt. Und sobald ich diese Verhältnismäßigkeit anzweifle, bekomme ich zu hören, dass grundsätzlich ALLES verhältnismäßig sei, schließlich ginge es hier um den Schutz von Leben. Und da betone ich: Nein, auch dafür ist eben nicht "alles" verhältnismäßig!
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Michael_S.
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63489Beitrag Michael_S. »

Hedonix hat geschrieben: 10. Mai 2020 19:31 ich bezweifle lediglich in einigen Fällen die Verhältnismäßigkeit, v.a. wenn es sich um pauschale Verbote im Sinn von "ab sofort darf keiner mehr vor die Tür" handelt.
Ich habe mich bisher aus pragmatischen Gründen nur mit den Regeln befasst, die für mich an meinem Wohnsitz gelten, daher muss ich jetzt neugierig fragen: Wurde ein solches pauschales Verbot (ggf. sinngemäß) denn irgendwo in Deutschland ausgesprochen? Soweit mir bekannt ist, hat sich unsere Regierung doch ausdrücklich gegen eine pauschale Ausgangssperre ausgesprochen, oder habe ich da was verpasst?
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Erik
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63490Beitrag Erik »

Hallo Hedonix,
Hedonix hat geschrieben: 10. Mai 2020 19:31
Erik hat geschrieben: 10. Mai 2020 15:00 [...] Sicherlich kann man diese Rechtsprechung nicht auf jede Erkältung übertragen. Auf die Riskierung, jemand anderen mit einer schweren Lungenentzündung wie SARS-Cov2 anzustecken aber vielleicht schon. Das werden letztlich die Gerichte entscheiden müssen. [...]
Diese Frage hängt sehr stark an der "Riskierung" - ab wann "riskiert" man diese Ansteckung? Wenn man - auf Einladung und mit Einverständnis - den Nachbarn besucht? Wenn man unter Einhaltung der Abstandsregeln in einem Kaufhaus (auch über 800m²) einkauft? Oder doch eher, wenn man jemanden anhustet?
mein von Dir zitierter Passus bezog sich auf Iwan's Beispiel eines Mannes, der vor Gericht stehen soll, weil er vor einer Operation dem Krankenhauspersonal verschwiegen habe, infiziert zu sein. Ich denke schon, dass zumindest wer weiß, dass er positiv getestet ist - vielleicht auch schon wer stärkere, einschlägige Symptome, also Fieber und Husten, hat -, wenn er damit näheren Kontakt zu anderen Leuten nimmt, nah daran ist, deren Ansteckung und Erkrankung billigend in Kauf zu nehmen. Zumindest für positiv getestete Leute gibt es ja auch nicht umsonst Quarantäne-Anordnungen. Wo im Einzelfall die Grenze zur Körperverletzung überschritten ist, wird aber in der Tat eine Einzelfallfrage sein.

Was Aktivitäten mit Abstand angeht, bin ich übrigens nicht überzeugt, dass diese genauso sicher im Infektionsschutz sind, wie der Verzicht auf Aktivitäten. Vor ein paar Wochen habe ich mich - trotz Einhaltung der Abstandsregeln soweit im Arbeitsalltag eben möglich - mit einer Erkältung, d.h. einem grippalen Infekt (wahrscheinlich Viren) angesteckt. Das war nichts Schlimmes, auch wenn ich wegen Hustens zu Hause geblieben bin. Nur: Wenn ich mich mit einem Erkältungsvirus infiziert habe, hätte ich mich ebensogut mit dem Coronavirus infizieren können, wenn es denn der Wirt des Erkältungsvius, das ich mir eingefangen habe, unbemerkt gehabt hätte.

Ich will nicht sagen, dass wir bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffes im kompletten "Lockdown" leben sollten. Aber der Illusion, 1,50 m Abstand zu unseren Mitmenschen einzuhalten zu versuchen sei genauso wirksam, sollten wir uns eben auch nicht hingeben. Insbesondere wenn man längere Zeit in geschlossenen Räumen beieinander ist, steigt mit der Zeit die Gefahr, sich trotz Abstands anzustecken, erheblich.

Zudem ist der empfohlene Mindestabstand irgendwann im März - wie ich vermute aus alltagspraktischen und damit politischen Gründen - von 2 m auf 1,50 m reduziert worden, ohne dass darüber je intensiver diskutiert wurde.

Ganz entsprechend war noch letzte Woche die Rede von einem Notfallplan - d.h. der Wiedereinführung von Beschränkungen -, wenn ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt mehr als 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner pro Woche hat. Das wurde von interviewten Virologen so für vernünftig gehalten. Geeinigt hat man sich politisch dann auf eine Größenordnung von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche. Die einzige virologische Stimme, die ich zu dieser Zahl gehört habe, hat gesagt, dass dies schon "am Limit" sei. Weshalb die Größe mal einfach um ca. 1/3 heraufgesetzt wurde, ist soweit ich es mitbekommen habe, nie weiter thematisiert worden.

Insofern bleibe ich persönlich schon etwas besorgt, ob derzeit nicht doch schon zu viel gelockert wird. Aber letztlich kann das nur die Zeit zeigen. Die Neuinfektionszahlen sind derzeit niedrig (so dass m.E. die tägliche Meldung der absoluten Zahlen jemals positiv Getesteter nunmehr wenig aussagekräftig ist). Heute habe ich aber gerade gehört, dass die Reproduktionszahl wieder auf über 1 gestiegen ist. Ob das so bleibt, wird sich zeigen, denn diese Zahl hat ja auch in den letzten wochen Schwankungen unterlegen. - Was allerdings seit Wochen in den Nachrichten nicht vermeldet wird, ist der tägliche Zuwachs an Corona-Todesfällen. Mitgeteilt wird immer nur die Gesamtzahl der jemals daran bzw. damit Verstorbenen. Wenn ich es richtig sehe, waren es auch bei uns in Deutschland z.T. mehr als 500 Tote an einem Tag, oft um die 200 bis 300. Wieviele es aktuell sind, weiß ich nicht. Und da sind eben die ganzen künstlich Beatmeten mit z.T. Langzeit-Lungenschäden nicht dabei. Die Auswirkungen dieser Krankheit sollte man nicht unterschätzen und mithin eine "zweite Welle" doch möglichst vermeiden. Wieviel staatlich verordnete Einschränkungen verhältnismäßig sind, muss m.E. auch davon abhängen, wie gut Infektionsschutz auf freiwilliger Basis, d.h. mit weitreichenden Lockerungen funktioniert. Einige Bilder haben ja zuletzt doch schon wieder sehr volle Innenstädte und Parkwege gezeigt. Aber aus eigener Anschauung kann ich dazu nichts sagen.

Gruß
Erik
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63492Beitrag Michael_S. »

Erik hat geschrieben: 10. Mai 2020 20:32 Was allerdings seit Wochen in den Nachrichten nicht vermeldet wird, ist der tägliche Zuwachs an Corona-Todesfällen. Mitgeteilt wird immer nur die Gesamtzahl der jemals daran bzw. damit Verstorbenen. Wenn ich es richtig sehe, waren es auch bei uns in Deutschland z.T. mehr als 500 Tote an einem Tag, oft um die 200 bis 300. Wieviele es aktuell sind, weiß ich nicht.
Heute +26 im Vergleich zum Vortrag: https://experience.arcgis.com/experienc ... ge/page_1/
Hedonix
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63493Beitrag Hedonix »

Michael_S. hat geschrieben: 10. Mai 2020 20:16
Hedonix hat geschrieben: 10. Mai 2020 19:31 ich bezweifle lediglich in einigen Fällen die Verhältnismäßigkeit, v.a. wenn es sich um pauschale Verbote im Sinn von "ab sofort darf keiner mehr vor die Tür" handelt.
Ich habe mich bisher aus pragmatischen Gründen nur mit den Regeln befasst, die für mich an meinem Wohnsitz gelten, daher muss ich jetzt neugierig fragen: Wurde ein solches pauschales Verbot (ggf. sinngemäß) denn irgendwo in Deutschland ausgesprochen? Soweit mir bekannt ist, hat sich unsere Regierung doch ausdrücklich gegen eine pauschale Ausgangssperre ausgesprochen, oder habe ich da was verpasst?
Ich zitiere mal wörtlich [mit Ergänzungen] die Regeln, die in Bayern seit Mitte März galten:

"Um das Coronavirus einzudämmen, ist das Verlassen der eigenen Wohnung ab Samstag [verkündet am Freitag] nur noch bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Dazu zählen unter anderem der Weg zur Arbeit [sofern diese überhaupt noch stattfindet], notwendige Einkäufe [alles, was von der Regierung als nicht notwendig eingestuft worden war, wurde sowieso geschlossen], Arzt- und Apothekenbesuche, Hilfe für andere, Besuche von Lebenspartnern [nicht: Nachbarn, Freunde, Verwandte...], aber auch Sport und Bewegung an der frischen Luft - dies aber nur alleine oder mit Personen, mit denen man zusammenlebt."
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63494Beitrag Michael_S. »

Danke, auch wenn das in meinen Augen weder direkt noch sinngemäß ein pauschales Ausgangsverbot ist. Dann war mein Eindruck ja wohl zutreffend.
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63495Beitrag Hedonix »

Es ging (mir) ja auch nicht darum, ob es ein Ausgangsverbot ist, sondern ob diese Maßnahmen verhältnismäßig sind. Immerhin handelt es sich zweifellos um erhebliche Einschränkungen der persönlichen Freiheiten. Zudem hatte ich (in früheren Posts) kritisiert, dass diese Einschränkungen nicht nur, wie es bei Notfällen ja normal ist, von der Regierung "verordnet" wurden (wie gesagt, bei Notsituationen ist es eben so, das kritisiere ich auch nicht), sondern das wochenlang keinerlei paralmentarische Überprüfung dieser Maßnahmen stattfand, und schließlich, dass sie einfach so "bis auf Weiteres" verordnet wurden, anstatt sie für ein paar Wochen (oder sogar Monate, jedenfalls für eine klar begrenzte Zeit) zu verordnen und dann zum Ablauf dieser Zeitspanne zu entscheiden, ob sie verlängert werden sollen - was dann auch übers Parlament hätte gemacht werden können und sollen.
Hedonix
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63497Beitrag Hedonix »

Erik hat geschrieben: 10. Mai 2020 20:32
Hedonix hat geschrieben: 10. Mai 2020 19:31
Erik hat geschrieben: 10. Mai 2020 15:00 [...] Sicherlich kann man diese Rechtsprechung nicht auf jede Erkältung übertragen. Auf die Riskierung, jemand anderen mit einer schweren Lungenentzündung wie SARS-Cov2 anzustecken aber vielleicht schon. Das werden letztlich die Gerichte entscheiden müssen. [...]
Diese Frage hängt sehr stark an der "Riskierung" - ab wann "riskiert" man diese Ansteckung? Wenn man - auf Einladung und mit Einverständnis - den Nachbarn besucht? Wenn man unter Einhaltung der Abstandsregeln in einem Kaufhaus (auch über 800m²) einkauft? Oder doch eher, wenn man jemanden anhustet?
mein von Dir zitierter Passus bezog sich auf Iwan's Beispiel eines Mannes, der vor Gericht stehen soll, weil er vor einer Operation dem Krankenhauspersonal verschwiegen habe, infiziert zu sein. Ich denke schon, dass zumindest wer weiß, dass er positiv getestet ist - vielleicht auch schon wer stärkere, einschlägige Symptome, also Fieber und Husten, hat -, wenn er damit näheren Kontakt zu anderen Leuten nimmt, nah daran ist, deren Ansteckung und Erkrankung billigend in Kauf zu nehmen. Zumindest für positiv getestete Leute gibt es ja auch nicht umsonst Quarantäne-Anordnungen. Wo im Einzelfall die Grenze zur Körperverletzung überschritten ist, wird aber in der Tat eine Einzelfallfrage sein.
Dass ein Verstoß gegen Quarantäneregeln einen Straftatbestand erfüllen kann, sehe ich auch so. Ebenso ein Verstoß gegen das Gebot, im Falle einer Erkrankung (auch wenn es keine Corona-Symptome sind) zuhause zu bleiben.
Erik hat geschrieben: 10. Mai 2020 20:32 Ich will nicht sagen, dass wir bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffes im kompletten "Lockdown" leben sollten.
Zumal heute erst ein Virologe bei einem Interview (TV-Sender Phönix) zugestanden hat, dass es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nicht gelungen ist, gegen einen der anderen (ich glaube 6) Corona-Stämme einen Impfstoff zu entwickeln, ebensowenig wie z.B. gegen HIV oder Schnupfen. Die immer wieder genannte Zeit von Sommer-Herbst 2021 ist die Mindestzeit, um einen Impfstoff zu entwickeln - es kann auch sein, dass es 20 oder 50 Jahre dauert oder überhaupt nicht gelingt. Ein Warten auf einen Impfstoff kann also unmöglich eine Option sein.
Erik hat geschrieben: 10. Mai 2020 20:32 Insofern bleibe ich persönlich schon etwas besorgt, ob derzeit nicht doch schon zu viel gelockert wird. [...] Die Auswirkungen dieser Krankheit sollte man nicht unterschätzen und mithin eine "zweite Welle" doch möglichst vermeiden. Wieviel staatlich verordnete Einschränkungen verhältnismäßig sind, muss m.E. auch davon abhängen, wie gut Infektionsschutz auf freiwilliger Basis, d.h. mit weitreichenden Lockerungen funktioniert. Einige Bilder haben ja zuletzt doch schon wieder sehr volle Innenstädte und Parkwege gezeigt. Aber aus eigener Anschauung kann ich dazu nichts sagen.
Die Sorge teile ich - auch wenn es mich vom Grundsatz her freut, dass manche Beschränkungen fallen, sehe ich schon auch, dass derzeit etwas zu schnell etwas zu viele fallen. Auch hier wieder das Problem: Das wird einfach verordnet! Das war der Fehler beim Verhängen der Regeln und das ist er jetzt beim Aufheben.

Bzgl. der "zweiten Welle" - ehrlich gesagt wird die wohl nicht zu verhindern sein, egal wann sie nun kommt. Man kann den Lockdown nicht ewig aufrecht erhalten, und sobald man ihn beendet, kommt die 2. Welle, das halte ich für so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Bilder von Leuten, die die Regeln nicht einhalten, zeigen aber eben auch, dass der Lockdown nicht mehr lange durchzusetzen gewesen wäre. Irgendwo (ich glaube, Berlin?) musste doch sogar vor einer kleinen Weile ein ganzes Wohnhochaus unter Quarantäne gestellt werden, weil 2 Mietparteien ihre persönliche Quarantäne nicht eingehalten haben. Wie oben schon gesagt halte ich das für eine Straftat und daneben auch für eine Unverschämtheit, aber es zeigt eben auch, dass die strengen Regeln nicht monatelang (oder gar jahrelang) durchzusetzen sind - nicht ohne unserer Gesellschaft (auch vom Zusammenhalt her) noch größeren Schaden zuzufügen. Auch hier kommen wir ums Abwägen am Ende nicht herum.
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63500Beitrag Iwan »

Hallo

Zunächst mal bin ich froh, dass wir wieder zu einer gesitteten Diskussionsform zurückgefunden haben! Ich kann die Kritik völlig unterschreiben, dass die Maßnahmen, seien es nun Lockerungen oder Verschärfungen, einfach so mal verlängert werden. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass die Regierung die Möglichkeit und Vollmacht haben muss, in einem Notfall schnell zu handeln und dann auch für eine gewisse Zeit Grundrechte einzuschränken - aber das muss dann so schnell als möglich von den Abgeordneten bestätigt oder verlängert werden.
Was für mich allerdings sehr fragwürdig ist, sind die Profilierungsversuche verschiedener Politiker: Die Ministerpräsidenten, die jetzt ihre eigenen Regeln verkünden und die mehr oder weniger Experten der verschiedenen Parteien, die sich in jedes Mikrofon, das bei drei nicht weggerannt ist, äußern. Ich stehe absolut hinter dem Prinzip des Föderalismus, und ich weiß auch, dass man nicht für das ganze Bundesgebiet oder ganz Europa die gleichen Regeln ansetzen kann, aber ich frage mich trotzdem, wie viele Leute jetzt irgendwelche Regeln vorschlagen, ohne sich vorher mit Gesundheitsexperten abzusprechen.
Ich bin, auch wenn sich das jetzt so anhören mag, keiner, der blindlings Fachleuten hinterherrennt und alles glaubt, was die sagen. Aber es gibt Momente, da sollte man auf die tatsächlichen Experten hören. Was ich nicht verstehe, ist dies: Man hört in den Nachrichten, dass dieser und jener Verbandspräsident die Lage seiner Branche beklagt hat, und dann wird mit Hinweis auf die Meinung von Experten ein paar Tage später eine entsprechende Ausnahme verkündet. Aber wieso sagt dann beispielsweise ein Söder nicht, dass laut Aussage dieses und jenes Virologen die Öffnung der Biergärten in Ordnung sei, aus dem und dem Grund? Oder wenigstens, dass laut einem anderen Experten so und so viele Jobs dadurch gerettet werden und das Risiko von Gewalttätigkeiten in den Familien so und so abnehmen könnte? Stattdessen steht er einfach hin und verkündet das als seine Entscheidung. Und wir stehen da und fragen uns, ob er jetzt da auf volles Risiko spielt oder halt doch irgendeiner wichtige Erkenntnis hat ...
Gott sagte zum Stein: "Und du wirst Feuerwehrmann!" Der Stein sagte: "Nein, dazu bin ich nicht hart genug."
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63501Beitrag Nullnullsix »

Erik hat geschrieben: 10. Mai 2020 15:00 (...) Wäre der Lebensschutz als staatliche Schutzpflicht absolut, dann müsste der Staat gehalten sein, den motorisierten Straßenverkehr zu verbieten. Es gibt in Deutschland noch immer über 3.000 Verkehrstote im Jahr. Diesen Umstand nimmt der Staat hin. Würde der motorisierte Verkehr verboten werden, würden diese Leben jedenfalls in der großen Mehrzahl gerettet - und wir bald wieder wie im 19. Jahrhundert leben. (...)
Ja, einerseits. Aber auch hier muss und wird abgewogen: Dieter Nuhr wies letztens zurecht darauf hin, dass die Abschaffung des Straßenverkehrs auch Leben kostet, denn ohne Rettungswagen, Notarzt, Feuerwehr, würden zB Herzinfarktpatienten Mühe haben, schnell genug ins Krankenhaus zu kommen. - Zudem ist in unserer heutigen, arbeitsteiligen Gesellschaft dann auch vieles andere nicht mehr möglich, was unser aller Leben erhält: Medikamente würden nicht mehr in Apotheken geliefert werden, Lebensmittel nicht in Lebensmittelgeschäfte usw. Straßenverkehr ist nunmal heutzutage mehr als die individuelle Freiheit für jeden, aus Lust und Laune durch die Gegend zu fahren. Da hängt auch Grundversorgung dran. Das muss man mitdenken.
Eigentlich hätte was passieren müssen, als ich auf den Knopf drückte!
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63502Beitrag Nullnullsix »

Iwan hat geschrieben: 10. Mai 2020 23:58 (...) Aber wieso sagt dann beispielsweise ein Söder nicht, dass laut Aussage dieses und jenes Virologen die Öffnung der Biergärten in Ordnung sei, aus dem und dem Grund? Oder wenigstens, dass laut einem anderen Experten so und so viele Jobs dadurch gerettet werden und das Risiko von Gewalttätigkeiten in den Familien so und so abnehmen könnte? Stattdessen steht er einfach hin und verkündet das als seine Entscheidung. Und wir stehen da und fragen uns, ob er jetzt da auf volles Risiko spielt oder halt doch irgendeiner wichtige Erkenntnis hat ...
Ja, das hab ich die letzten Tage auch gedacht: Die Entscheidungen und deren Grundlagen müssten transparenter gemacht werden - dann würden sie von der Bevölkering auch besser akzeptiert. "Wir haben dies mit dem abgewogen und sind dann aus diesem Grund zu der Entscheidung gekommen, dass!"

Ansonsten muss ich gestehen, dass ich mich zwar einigermassen an die Regeln gehalten habe, aber ich frage mich auf welcher Rechtsgrundlage sie bestehen und wie gültig diese ist. Ich darf keine Freunde treffen? Wie wollen die das bei 83 Millionen Menschen überprüfen, wer wo warum zu wem unterwegs ist? - Und eine Regel, die nicht überprüft werden kann, hat, mein ich mal gehört zu haben, keine Gültigkeit. Dann: Welche Regeln grade gelten, haben wir doch Tagesschau und Co entnommen. Wieviele Leute gibt es, die das potenziell gar nicht alles mitbekommen haben, weil sie kaum bis gar keine Medien/Nachrichten konsumieren (oder aus sprachtechnischen Gründen (Migrationshintergrund) auch gar nicht verstehen würden, WESWEGEN sie gar keine Nachrichten gucken)? Müsste -für eine Gültigkeit solcher Massnahmen- nicht Sorge getragen werden, dass die Infos darüber auch zuverlässig jeden erreicht? zB mit Rundschreiben an alle Haushalte..? Und in der Tagesschau wurde auch immer nur gesagt: es gilt dies, es gilt das, aber nie, aufgrund welcher gesetzlichen Grundlage und wo man die im Zweifel mal nachlesen kann.

Kurz: Aufgrund all dessen hab ich das alles immer eher so als 'unverbindliche Empfehlung' verstanden und -zumindest hier in Bremen- hab ich den Eindruck, dass das die meißten anderen auch so gesehen und gehandhabt haben. Das ist vielleicht leichtfertig, hat aber -zumindest nach unseren Infektionszahlen hier- offenbar gut funktioniert. Deshalb wäre ich persönlich auch beim Thema Lockerungen eher für eine 'freiheitliche Regelung': So als Signal von uns als Bevölkerung an die 'Entscheider': "Okay, Leute, Hygiene und Abstand, wir habens verstanden. Wir passen auf uns und unsere Nächsten auf und lassen uns Massnahmen einfallen, wie wir im Rahmen dieser Gegebenheiten soviel Normalität wie möglich schaffen können." Ich versteh zB auch nicht, warum die Kultusminister Vorgaben machen, wer, wie wann wieder zur Schule oder in KiTas gehen darf. Lasst das doch die jeweiligen Schul- und KiTa-Leitungen entscheiden: Die kennen doch ihre speziellen Gegebenheiten am besten und können sich für sie funktionierende Regelungen einfallen lassen und was beim einen geht, muss doch nicht zwangsläufig auch beim anderen funktionieren. Bei dem dann aber was anderes.

Umgekehrt würde ich als 'politischer Entscheider' (jetzt!) auch mehr auf den Einfallsreichtum und die (Eigen-)Verantwortlichkeit eines jeden setzen und es denen überlassen: Laden X ersinnt ein für sich stimmiges Konzept, wie er aufmachen kann und trotzdem für ein Höchstmass an Sicherheit sorgen kann. Der kann dann aufmachen. Laden Y traut sich nicht, weil der Inhaber vielleicht ein Übervosichtiger ist. Auch gut, soll er zu lassen, kriegt er den Ausfall aus dem Staatssäckel. Nur mal so zum Beispiel.

Letztlich so oder so. Wir werden noch ne Weile damit zu tun haben und es werden weiter Menschen sterben. So oder so. Auch das sollte die Politik mal deutlich sagen: "Leute, da beißt die Maus keinen Faden ab: Es werden weiter Menschen an COVID19 sterben. Das ist nicht schön, aber nicht komplett zu verhindern. Wir machen uns die Entscheidungen jeweils nicht leicht und versuchen den Schaden so gering wie möglich zu halten..."
Eigentlich hätte was passieren müssen, als ich auf den Knopf drückte!
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Re: Corona ...

Beitrag: # 63511Beitrag Nullnullsix »

Typisch für Corona ist ja trockener Husten und Fieber. Nun hab ich ja als Raucher seit ca. 2 Jahren chronischen Raucher-Husten (der eben nicht 'trocken' ist). Was ich mich jetzt frage, ist: Wenn auf den nicht-trockenen Husten jetzt ein trockener obendrauf kommt, würd ich das eigentlich merken, dass ich dann quasi zwei Husten hätte?
Eigentlich hätte was passieren müssen, als ich auf den Knopf drückte!
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